Putins hybrider Krieg bedroht Europa auch ohne Atomschlag | OberpfalzECHO

2022-11-07 16:14:48 By : Ms. Jane Zhao

Weiden. Cyberattacken sind Teil der hybriden Strategie Russlands – schon 2007 in Estland und 2008 in Georgien. Auch die Ukraine registriert Cyberattacken. OberpfalzECHO befragt Weidens OTH-Cybersicherheitsexperten zur Gefahrenlage durch Putins hybride Kriegsführung.

Bisher halten sich die Cyber-Attacken Russlands in Grenzen, beobachtet Ciaran Martin, Professor für Praxis an der Blavatnik School of Government an der Universität Oxford und ehemaliger Leiter des Nationalen Cyber-Sicherheitszentrums des Vereinigten Königreichs: „Die Cyber-Aktivitäten Russlands gegen die Ukraine sind zwar vorhanden, gehen aber bisher nicht über die seit Jahren andauernden Cyber-Angriffe des Landes durch Russland hinaus.

Doch Martin warnt: „All dies könnte sich ändern, und der Westen sollte sich auf verstärkte Cyber-Aktivitäten gefasst machen.” Die Abwehr hochprofessioneller Cyber-Attacken durch Hacker des russischen Geheimdienstes ist schwierig: Das Bundesverteidigungsministerium schreibt: „Bei der hybriden Strategie wird entweder anonym operiert oder die Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten werden bestritten.“

Die Schwelle zu einem offiziellen Krieg wird nicht überschritten. „Eben dies macht die Abwehr solcher Attacken so schwierig: Wenn es keinen eindeutigen Angriff oder Angreifer gibt, fällt die Gegenwehr schwer.“ Mit anderen Worten: Ein nicht nachweisbarer Angriff müsste Artikel 5 des Nato-Vertrages, den Bündnisfall, nichts zwangsläufig auslösen. Putin könnte bei dieser Eskalationsstufe weiter reizen, ohne den einen Gegenschlag befürchten zu müssen.

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben derzeit rund 200 russische Geheimagenten in Deutschland auf dem Schirm. Die tatsächliche Zahl dürfte laut Einschätzung der experten deutlich höher liegen. „Wir sehen das Ausmaß der aggressiven russischen Geheimdienstaktivitäten in ganz Europa“, warnt der frühere britische Geheimdienstchef John Sawer im „Guardian“: „Wir wissen wahrscheinlich nur zehn Prozent von dem, was sie tun.“ Das Ziel von Putins Geheimarmee: Informationen über Politiker, Unternehmer und kritische Journalisten sammeln.

Vor allem aber: Die Verunsicherung der Bürger. Putin, der in seiner offiziellen Kriegserklärung die ukrainische Regierung als Faschisten diffamiert, nutzt rechtspopulistische Bewegungen in ganz Europa, um die westlichen Gesellschaften weiter zu spalten. In klassischer KGB-Manier finanziert der Kreml-Despot Bewegungen und Parteien, die das demokratisch-parlamentarische System offen ablehnen. Während der neue russische Totalitarismus über Leichen geht, spazieren manipulierte Querdenker mit Corona-Diktatur-Transparenten durch deutsche Fußgängerzonen.

Bereits im Oktober 2021 diskutierten die Nato und die Ukraine auf einer Konferenz in Brüssel über mögliche Reaktionen auf solche Angriffe. „Die Fähigkeit, hybride Taktiken staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zu verhindern, ihnen entgegenzuwirken und auf sie zu reagieren, hat für die NATO höchste Priorität“, sagte James Mackey von der Nato-Abteilung für politische Angelegenheiten und Sicherheitspolitik. „Russland setzt hybride Taktiken ein, um seine Besetzung von Gebieten zu legitimieren“, sagte Sergiy Mukosii, Leiter der Verteidigungsabteilung der ukrainischen Nato-Mission.

Auch die Schwächung öffentlicher Institutionen und die Destabilisierung von Gesellschaften sind Teil der hybriden Taktik, erklärte Mukosii. In Deutschland ist hier der Cyberangriff auf den Bundestag, die Desinformation durch Russia Today und russischen Trollen in sozialen Medien wie Telegram sowie die Unterstützung systemfeindlicher Parteien und Bewegungen wie AfD und Querdenker zu nennen – mit beträchtlichem Erfolg. Inszenierte Ereignisse, wie der angebliche Genozid an Russen im Donbass, sowie historische Mythen, mit denen die Existenzberechtigung der Ukraine abstreitet, sind Teil dieser Strategie, um einen Konflikt anzuheizen oder Vorwände für eine Intervention zu schaffen.

Jenseits der militärischen Zerstörungen kann Russland zentrale Infrastrukturen durch Cyberangriffe gefährden – auch im Westen, wenn Putin wie angedroht, Gegenmaßnahmen ergreift, „wie wir sie noch nie erlebt haben“: „Im Prinzip lassen sich alle KRITIS-Sektoren – wie Energie, Gesundheit, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Medien und Kultur, Wasser, Finanz- und Versicherungswesen, Ernährung, Staat und Verwaltung – angreifen“; sagt Weidens OTH-Cybersicherheitsexperte Professor Daniel Loebenberger.

„Breit gestreute Ransomware, die gleichzeitig relevante Teile der kritischen Infrastruktur lahmlegt, wäre sicher ein großes Problem“, ergänzt der Leiter des Fraunhofer Lernlabors Cybersicherheit. Dennoch: „Natürlich kann man einen gewissen Schutz bei sich aufbauen“, rät er Unternehmen, „dazu muss man allerdings viel Geld in das Thema investieren und Profis beschäftigen, die eine entsprechende Expertise haben.“ Professor Andreas Aßmuth, ebenfalls Cyber-Experte der OTH Amberg-Weiden, verweist auf Publikationen zum Thema.

Darunter „Was bei einem Blackout geschieht – Folgen eines langandauernden und großräumigen Stromausfalls“: Die Autoren beschreiben darin, welche Folgen ein langandauernder und großflächiger Stromausfall für die Gesellschaft und ihre kritischen Infrastrukturen haben könnte und wie Deutschland auf eine solche Großschadenslage vorbereitet ist: „Stromausfälle in Europa und Nordamerika haben in den letzten Jahren einen nachhaltigen Eindruck von der Verletzbarkeit moderner und hochtechnisierter Gesellschaften vermittelt“, heißt es darin.

„Obwohl die Stromversorgung allenfalls eine Woche und lokal begrenzt unterbrochen war, zeigten sich bereits massive Funktions- und Versorgungsstörungen, Gefährdungen der öffentlichen Ordnung sowie Schäden in Milliardenhöhe.“ In umfassenden Folgenanalysen führen die Autoren drastisch vor Augen, dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (lebens-) notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist.

Ein großräumiger und langandauernder Ausfall der Stromversorgung könne das eng verflochtene Netzwerk kritischer Infrastrukturen wie die Informationstechnik, Telekommunikation, Transport und Verkehr, Energieversorgung sowie das Gesundheitswesen außer Kraft setzen. „Diese sind aufgrund ihrer internen Komplexität sowie der großen Abhängigkeit voneinander hochgradig verletzbar.“

Aufgrund der nahezu vollständigen Durchdringung der Lebens- und Arbeitswelt mit elektrisch betriebenen Geräten, wäre ein Kollaps der gesamten Gesellschaft kaum zu verhindern. „Trotz dieses Gefahren- und Katastrophenpotenzials ist ein diesbezügliches gesellschaftliches Risikobewusstsein nur in Ansätzen vorhanden.“

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